Engländer testete Pille für den Mann
Als Mann kann man nur mit Kondom verhüten oder sich sterilisieren lassen. Beides kam für den Engländer Clint Witchalls nicht in Betracht – er testete ein Jahr lang die „Pille für den Mann“.
Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Pille zum Schlucken, sondern vielmehr um ein Hormonstäbchen, das unter die Haut in den Oberarm eingesetzt wird. Dort verbleibt es ein Jahr lang und gibt in dieser Zeit ständig das Hormon Progesteron ab, das die Spermaproduktion verhindert. Weil es auch die Produktion des männlichen Hormons Testosteron drosselt, bekommen die Männer alle zehn Wochen eine Testosteron-Spritze zum Ausgleich. Der 41-jährige Medizinjournalist und dreifache Vater Clint Witchalls meldete sich, als für eine Pharma-Studie Männer gesucht wurden, die bereit waren, dieses Verhütungsmittel zu testen.
Bei Clint Witchalls traten während der Behandlung starke Stimmungsschwankungen auf. „Noch vor ein paar Monaten strotzte ich vor Arroganz und Angeberei, heute bin ich oft ein jämmerliches, wehleidiges Wrack“, heißt es in seinem Buch „Die Pille und ich“.
Dennoch würde der Engländer das Mittel, wenn es auf dem Markt wäre, anderen Männern empfehlen. Denn es sei nicht gesagt, dass jeder so empfindlich reagiere wie er selbst. Schließlich vertragen auch einige Frauen die Pille nicht, bei anderen wiederum kommt es nur zu geringen Nebenwirkungen und viele haben keinerlei Probleme damit. Witchalls: „Ich glaube, die Pille für den Mann ist eine großartige Idee, vor allem für Männer in festen Beziehungen. Ein Drittel aller Männer übernehmen Verantwortung bei der Verhütung, und diese Quote wäre vermutlich höher, wenn es mehr Alternativen gäbe.“
Sie möchten mehr wissen? Clint Witchalls im Interview mit dem Deutschen Grünen Kreuz e. V. (DGK)
DGK: Herr Witchalls, Sie sind Medizinjournalist, und Sie haben eine hypochondrische Ader, schreiben Sie in Ihrem Buch „Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch“. Dies erleichtert es ja nicht gerade, an einer klinischen Studie zu einem Medikament teilzunehmen... Schließlich ist mit Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen. Wie kam es, dass Ihre hypochondrische Seite Sie nicht von der Teilnahme an der Studie abgehalten hat?
- Clint Witchalls: Das ist eine interessante Frage. Die meisten Hypochonder sind Menschen, die sich ängstigen, an einer furchtbaren Krankheit zu sterben. Meine Hauptangst drehte sich um motorische Erkrankungen (woran mein Vater starb) und Krebs (woran die meisten Männer meiner Familie väterlicherseits starben, übrigens in einem recht jungen Alter). Ich fürchte mich nicht vor Spritzen oder ein wenig Schmerz und ich weiß, dass eine Erkältung eben nur eine Erkältung und keine Lungenentzündung ist. So war es eine Risiko-Abwägung: Mir war klar, dass ein paar geringe Risiken damit verbunden waren, an der Studie teilzunehmen, aber ich wusste auch, dass ich jederzeit medizinisch erstklassig betreut werden würde (gewöhnlich, im staatlichen Gesundheitssystem muss man Monate oder manchmal Jahre warten, um einen Spezialisten zu sehen). Mein Blut würde regelmäßig untersucht werden, und wenn ich, sagen wir, Krebs entwickelte, würde das Blutbild einen Anstieg des C-reaktiven Proteins zeigen. Die Krankheit würde also ganz früh entdeckt und ich schnell behandelt werden. Zusammengefasst: Die Vorteile der konstanten medizinischen Überwachung überwogen meine Angst vor Komplikationen.
DGK: Die Nebenwirkungen bestanden aus extremen Stimmungsschwankungen. Mal waren Sie voller Energie und Lust, dann wieder gefühlvoll, empfindsam, verletzlich. Welche dieser beiden Seite war Ihnen lieber?
- Clint Witchalls: Eindeutig die männliche. Nicht so sehr wegen der stärkeren sexuellen Lust, obwohl das großartig war, sondern weil ich so viel mehr Energie hatte. Ich konnte länger trainieren und erholte mich schneller. Ich war auch mutiger, durchsetzungsfähiger, kontaktfreudiger und genoss meine neu entdeckte Zuversicht.
DGK: Ihr Buch ist komisch, witzig, selbstironisch. Ihre Erzählung hat aber auch ihre dunklen Seiten: Sie erkrankten an einer starken Depression. Wie sehen Sie das im Nachhinein: Ist die Depression auf die Einnahme der Hormone zurückzuführen? Oder entstand sie ganz unabhängig davon?
- Clint Witchalls: Ich weiß es wirklich nicht. Mein Verdacht ist, dass ich eine Prädisposition für Depression habe und dass die Hormone die Depression auslösten. Heute geht es mir rundherum gut und ich bin sehr glücklich, dass ich von Menschen umgeben bin, die ich liebe und die mich lieben. Aber mein Leben war nicht immer so glücklich. Es gibt einige dunkle Dinge aus meiner Kindheit, die mich in meinem Erwachsenenleben verfolgten, und vielleicht ist dies die Wurzel meiner Hypochondrie und Depression.
DGK: Als Sie depressiv wurden – wie kam es, dass Sie ein Antidepressivum nahmen statt aus der Studie auszusteigen?
- Clint Witchalls: Erstens, ich hatte bereits neun Monate an dem Versuch teilgenommen und wollte nicht in einem solch späten Stadium aussteigen (insbesondere, weil meine Depression mit Tabletten behandelt werden konnte). Zweitens, wenn ich mich zurückgezogen hätte, wäre ich nicht in die Auswertungen einbezogen worden, die entschieden, ob die Studie in die dritte Phase geht oder nicht. Ich hielt es für wichtig, dass meine Nebenwirkungen in die finale Analyse einbezogen werden. Und drittens war es nicht klar, dass die Hormone die Depression erzeugt hatten.
DGK: Welches ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus diesem Experiment?
- Clint Witchalls: Ich habe enormen Respekt bekommen vor Hormonen und dem starken Einfluss, den sie auf unser Leben haben können. Ich habe auch gelernt, dass die „Tage vor den Tagen“ bei Frauen wirklich nicht zum Lachen sind. Ich fühlte mich teilweise unsicher, empfindlich, ungeliebt, weinerlich und so weiter, und meine Frau Sam sagte: „Das ist genau die Art wie ich mich fühle, wenn ich prämenstruell bin.“ Jetzt verstehe ich das alles sehr viel besser.
DGK: Glauben Sie, dass es die „Pille“ für den Mann jemals geben wird?
- Clint Witchalls: Ich hoffe es. Ich bin sicher, einer der laufenden Versuche, sie zu entwickeln, wird erfolgreich sein. Progesteron ist ein sehr wirkungsvolles Verhütungsmittel für Männer, das Problem sind die Nebenwirkungen. Ich bin aber sicher, dass kluge Pharmaunternehmen das noch in den Griff bekommen werden.
Interview: Dr. Claudia Mauelshagen
Buchtipp: Clint Witchalls: Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch (Broschiert), 207 Seiten, Rowohlt Tb. (April 2007), ISBN-10: 3499621754, ISBN-13: 978-3499621758
Anmerkung der Redaktion:
In Europa wird es wohl erstmal keine Pille für den Mann geben. Der Pharmaproduzent Bayer Schering will nun doch keine "Pille für den Mann" herausbringen. Es sei richtig, dass Bayer das Projekt nicht weiterverfolgen werde, sagte eine Sprecherin Anfang Juni 2007. Schering und Organon hatten von 2002 bis 2006 zusammen an der Pille für den Mann geforscht.